Kultur im Alltag

In Kozhikode

In der letzten Woche habe ich um ehrlich zu sein kaum nennenswerte Erfahrungen gemacht – die Schule ist öfter ausgefallen, als dass sie stattgefunden hat, entweder aufgrund des heftigen Regens oder weil mal wieder ein Feiertag war. Deshalb dachte ich, ist es an der Zeit, einmal über einige generelle kulturelle Unterschiede zu schreiben, die mir bisher aufgefallen sind. 

Verkehr

Der indische Verkehr ist, wie schon zuvor hin und wieder erwähnt, eine Sache für sich. Um in eine andere Stadt zu gelangen, nehme ich meistens mit einer Schwester den Bus oder wir fahren mal ein Stück mit der Rikscha. Beides ist von den Preisen überhaupt nicht mit Deutschland zu vergleichen – für eine 40-minütige Busfahrt bezahle ich umgerechnet 20 Cent, die Rikschafahrten sind zwar etwas teurer, aber noch längst nicht mit den deutschen Taxipreisen zu vergleichen. Auch hier kostet der Weg in den nächsten Ort zwischen 50 Cent und einem Euro – einen ganz einheitlichen Maßstab gibt es nicht. Ansonsten habe ich auch schon bei einigen Fahrten mit dem Auto für gemeinsame Ausflüge mitgemacht, bei denen uns der immer gleiche Fahrer namens Sibi begleitet. Vor allem in den Städten, sind die Straßen hier ein einziges Chaos. Jeder versucht, so schnell voranzukommen, wie es irgendwie möglich ist, und letztlich gilt das Recht des Stärkeren – das heißt des lauter Hupenden oder eben im Zweifelfall des Busses, von dem sich der Motorradfahrer ungern rammen lassen möchte. Obwohl hier die meisten Straßen zweispurig sind, fahren oft mindestens drei Fahrzeuge nebeneinander, da spielt es dann auch keine Rolle, wenn man mal 100 Meter auf der Gegenfahrbahn verbringt oder zum Überholen eine durchgezogene Linie überfährt. Manchmal frage ich mich, ob es hier überhaupt eine Fahrschule gibt, die den InderInnen ein paar Verkehrsregeln beibringt, oder ob einem einfach irgendwann von den Eltern gezeigt wird, wie man schaltet und ein Auto startet und los geht’s auf die Straße. 


Trotzdem mag ich die Fahrten eigentlich meistens. Wenn einem beim Bus fahren nicht schlecht wird, ausnahmsweise mal kein Regen fällt UND man einen Sitzplatz bekommt (ja, ich weiß – sehr viele „Wenns“) ist es sehr angenehm mit offenem Fenster zu fahren und sich den Fahrtwind ins Gesicht wehen zu lassen und eine willkommene Abwechslung zur sonstigen Hitze und stickigen Atmosphäre im Bus. Ich beobachte dann entweder die Landschaft, oder strenge mich an, die Plakate oder Schriftzüge über den Läden in Malayalam zu entziffern, was mehr oder weniger gut funktioniert. Dafür freue ich mich immer besonders, wenn ich tatsächlich ein Wort verstehe, wie einen Stadtnamen, oder die häufig zu sehende Aufschrift „Tee und Kaffee!“ an den kleinen Straßencafés. Bei geschlossenem Fenster, versuche ich zu lesen – schwierig bei Ruckeln und der vorherrschenden Lautstärke, oder Musik zu hören. 
Noch mehr mag ich aber eigentlich die Rikschafahrten, die sich jedes Mal wie ein kleines Abenteuer anfühlen und zwar umso mehr ruckeln, mir aber auch das Gefühl geben, richtig im indischen Leben angekommen zu sein. 

Meine erste Rikschafahrt – natürlich im Regen

Essen


Jaja das indische Essen – was ich nicht im Vorfeld darüber schon alles gehört habe. Zuerst einmal – zumindest hier im Konvent wird meiner Meinung nach nicht besonders scharf gegessen, da hätte ich eindeutig „Schlimmeres“ erwartet. Generell gibt es drei Mahlzeiten am Tag, alle davon warm und üppig. In den meisten Fällen heißt das Reis, der aber auch hin und wieder durch verschiedene Teigfladen ersetzt wird, mit Curry. Curry kann hier praktisch aus allem bestehen, es gibt Gemüse -, Fisch-, und Chickencurry und oft eines mit Kichererbsen oder Linsen. Leider funktioniert mein Vegetarier-Dasein hier nicht so gut wie gedacht. Obwohl in jedem Reiseführer steht, dass es in Indien von VegetarierInnen nur so wimmelt und ich auf vielen Restaurants den Schriftzug „Vegetarian“ entdeckt habe, scheint das nicht für das Leben im Konvent zuzutreffen. Und wenn man sich einmal die Gründe für indische VegetarierInnen ansieht, wird auch klar, weshalb: Sie stammen in den meisten Fällen aus der Religion und nicht wie bei mir aus Bedenken über die Tierhaltung und die Auswirkung auf den Klimawandel und treffen demnach hauptsächlich auf Hindus und teilweise auf Muslime zu, wohingegen Christen als „Allesfresser“ bekannt sind. Deshalb wird mir auch noch nach mehrfachen Erklärungen meinerseits hin und wieder mal Hähnchen zugeschoben, was jetzt glücklicherweise weniger geworden ist. Mit dem Fisch habe ich mich inzwischen abgefunden – ich möchte den Schwestern das Verständnis nicht noch mehr verkomplizieren und tröste mich damit, dass er wenigstens aus dem Meer kommt, und keine schlechte Haltung mitmachen musste. 

Außerdem gibt es noch einmal am Tag „tea“ oder auf Malayalam chaya – das heißt, in reiner Milch aufgekochter schwarzer Tee, der aber oftmals so mild ist, dass ich kaum etwas anderes als heiße Milch schmecke. Wenn man das Ganze allerdings mit etwas Zucker versetzt, wie es hier üblich ist, erhält man auch wieder etwas Geschmack, wodurch es dann doch letztlich ziemlich gut schmeckt. In der Schule gibt es vormittags dann sogar den Luxus von reinem Schwarztee ohne Milch, den ich sehr genieße. Zum Tee werden dann in den meisten Fällen irgendwelche Süßspeisen serviert – manchmal nur Kekse, aber häufig etwas Selbstgemachtes z.B. eine mit Kokosnuss gefüllte Teigtasche, was ich immer sehr lecker finde. 

Klassischer „Chaya“ mit Gebäck

Generell bin ich mit dem Essen wirklich zufrieden. Natürlich, es könnte mehr Abwechslung sein, und manchmal sehne ich mich zumindest nach einem deutschen Frühstück, aber die Curries sind immer lecker und gut gewürzt, so dass ich mich auch darüber sehr freue. Gegessen wird hier übrigens natürlich mit den Händen, oder, um genauer zu sein mit „der“ Hand, da dafür eigentlich nur die rechte benutzt wird. Zur linken Hand nur so viel – die InderInnen benutzen kein Klopapier (für mich gibt es glücklicherweise welches).


Frauen und Männer

Bevor ich nach Indien gegangen bin, habe ich aus meinem Umfeld oft den – mehr oder weniger als Scherz gemeinten – Satz gehört: „Aber pass bloß auf, dass du nicht vergewaltigt wirst.“ Dass es in Indien mit der Gleichberechtigung nicht so weit her ist, wie bei uns (wobei wir natürlich auch im Westen immer noch Feminismus brauchen – aber das ist ein anderes Thema, und eine Diskussion, die ich jetzt hier nicht führen möchte) ist wohl allgemein bekannt. Tatsächlich ist mir anfangs gar nichts in diese Richtung aufgefallen – wobei ich eben auch im Konvent nur unter Mädchen und Frauen lebe. Was allerdings ein heftiger Unterschied ist, ist der Umgang, oder vielleicht sollte ich besser sagen der fehlende Umgang der Geschlechter miteinander. In der Kirche und im Bus sitzen Frauen und Männer getrennt, in der Rikscha musste ich einmal mit Louis den Platz tauschen, damit eine fremde Frau einsteigen konnte – ohne dabei neben einem „männlichen Wesen“ sitzen zu müssen. Außerdem soll er mich hier nicht „einfach so“ besuchen – ein Junge und ein Mädchen in unserem Alter haben wohl nur einen Grund, gemeinsam ihre Freizeit zu verbringen und das heißt hier wohl, dass sie entweder bald heiraten oder sich eben sehr unerhört verhalten. Dass man auch befreundet sein kann, scheint ein in der indischen Kultur unmöglicher Gedanke. So wurde ich auch schon, als wir mit den Italienern einen Ausflug gemacht haben, bei dem ich mich länger mit dem 19-jährigen Fillipo unterhalten haben, gefragt, ob wir verheiratet sind, woraufhin wir beide erst einmal loslachen mussten. Oder nein, um genauer zu sein wurde natürlich er gefragt – der Mann – ob ich seine Frau bin. Es sind eher solche Kleinigkeiten, an denen ich merke, welches Geschlecht hier das Sagen hat. Beispielsweise sitzen die Männer, wenn zusammen ein Ausflug unternommen wird selbstverständlich vorne, wofür dann auch die „Oberschwester“ Platz macht und sich auf die Rückbank quetscht und es scheint für Louis auch kein Problem darzustellen, alleine Bus zu fahren – wobei ich nie einen Ausflug alleine unternehmen sollte. Dass die Schwestern das wahrscheinlich nicht aus Diskriminierung, sondern aus realer Sorge so entscheiden – ein Mädchen, und dann auch noch eine Weiße, die überall auffällt und sich nicht richtig auskennt, alleine unterwegs – macht es natürlich nicht besser. Traurig werde ich auch, wenn die Schülerinnen mir, wie heute, eine Geschichte erzählen: Nachdem ich einer von ihnen sagte, wie schön sie tanze, antwortete sie, dass sie immer zu einer Tanzschule wollte. Aber da ihr Vater fern von zu Hause gearbeitet hat, und ihre Mutter nicht die Befugnis hatte, diese Entscheidung alleine zu treffen, konnte sie nie gehen. So etwas schockiert mich dann schon, weil diese Diskriminierung auf einmal so hautnah spürbar wird. 

Eher lustig zu beobachten, sind die Effekte der durchgehenden Geschlechtertrennung, die bei Schwestern natürlich noch einmal extremer sind: Wenn hier im Konvent ein Mann, oder ein Junge zu Besuch sind, werden alle immer ganz aufgeregt, lachen viel, und die Hormone sind förmlich spürbar – auf einmal habe ich das Gefühl, dass Schwestern und Schülerinnen (,die ja ungefähr in meinem Alter sind) nichts weiter sind, als ein Haufen pubertierender 13jähriger Mädchen. Für Louis ist das manchmal ziemlich nervig, aber ich kann mich dabei ganz gut amüsieren.

Schulsystem und Bildung

Louis hat mir vor ein paar Tagen einen unglaublich treffenden, wenn auch etwas bösen 9gag Post geschickt:

Quelle: 9gag

Ganz so schlimm ist es natürlich nicht, und ich habe sogar oft das Gefühl, dass die Kinder schwerere Dinge lernen, als an deutschen Schulen. Jedoch sieht der Unterricht eben so aus, dass sie ein Buch vor sich liegen haben, ziemlich komplizierte Texte daraus vortragen müssen und am Ende ein paar inhaltliche Fragen beantworten. Was absolut fehlt, ist die eigene Erarbeitung und Produktion – so verstehen sie zwar wissenschaftliche englische Texte, tun sich aber oft schwer damit, nur einen einzigen Satz selbst zu formulieren. Genau diesen Schwierigkeiten soll ich eben mit „Spoken English“ Abhilfe leisten – gar nicht so einfach, wenn man ganz am Anfang beginnen muss. Und zum Thema System: Zweimal ist es jetzt schon vorgekommen, dass ich mit einem Buch in der Hand in irgendeine Klasse geschickt wurde, ohne auch nur die Zeit zu haben, den Text vorher zu lesen, geschweige denn, eine Stunde vorzubereiten. Dafür hat es dann meistens noch erstaunlich gut geklappt – wobei es auch immer nur in der fünften Klasse war, die doch schon recht viel versteht.

Und natürlich – der Stock. Hier ist es normal, dass mit dem Stock unterrichtet und im Notfall bestraft wird. Zwar wird dieser in den allermeisten Fällen nur als Drohgebärde benutzt, jedoch musste ich auch schon mit ansehen, wie Kinder geschlagen wurden. In den meisten Fällen handelt es sich eher um kleine Schläge, die hoffentlich nicht wirklich weh tun, aber wenn jemand wirklich über die Stränge geschlagen hat, wird er dann auch schon mal zur Direktorin geschickt, deren Schläge schon etwas schmerzhafter aussehen. Auch wenn mir das vorher bewusst war, ist und bleibt es schrecklich und schockierend, mit ansehen zu müssen, wie ein Kind geschlagen wird. Das Problem weitet sich aber darauf aus, dass die Kinder das als Strafe anerkannt haben und mich sogar manchmal darauf auffordern, einen von ihnen, der besonders nervig ist, zu schlagen – oder zur Direktorin zu schicken. Deshalb ist es wirklich dringend an der Zeit, dass ich mir einen eigenen Weg einfallen lasse, sie zu kontrollieren, da meine bösen Blicke nicht immer wirksam sind. Schlagen werde ich aber natürlich nie.

Was ich aber genieße, und nicht direkt etwas mit der Schule zu tun hat, ist die Fröhlichkeit und Herzlichkeit der Kinder, die mir auch gerne mal etwas basteln oder mich am liebsten alle umarmen wollen, oder zumindest einen Handschlag austauschen. Wenn sie dann nach Küsschen fragen, wird es mir eindeutig zu viel und so muss man die Kleinen teilweise wirklich von sich wegscheuchen. Trotzdem bleibt es natürlich etwas, worüber man sich freut, wenn die Kinder einen so glücklich begrüßen und kaum wieder gehen lassen wollen.


Und noch ein paar andere Dinge…

Ich könnte hier jetzt bestimmt noch 100 Dinge aufzählen, wenn ich nur ein bisschen nachdächte, da wäre natürlich die Religiosität, der Hang zu aller Art von Festen, die indische Art der Höflichkeit und Gastfreundschaft, die unglaublich wichtige Rolle der Familie, der Umgang mit Weißen, der von neugierigen Fragen über penetrantes Starren zu Fragen nach Selfies führt und so weiter, und so weiter. Wer es sich genau vorstellen möchte, sollte wohl auch einmal eine Reise nach Indien unternehmen – alles aufschreiben werde ich zumindest nicht können ;).

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